Ob wunderschöne, mächtige Göttin, schreckliches Fabelwesen oder adrett gekleidete Werbeikone – eines der wichtigsten Motive im Jugendstil ist die Frau. Im Zentrum der Ausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ im Braunschweigischen Landesmuseum steht das Frauenbild im Jugendstil um 1900.
Das gemeinsame Projekt des Braunschweigischen Landesmuseums, des Allard Pierson in Amsterdam und des Badischen Landesmuseums Karlsruhe wirft ein neues Licht auf eine außergewöhnliche Epoche und öffnet den Blick auf die künstlerische Darstellung von Frauen zur Zeit des Fin de Siècle.
150 Objekte aus 15 Museen und Stiftungen sowie von Privatpersonen zeigen die Ambivalenz und Bandbreite der „Göttinnen des Jugendstils“. Die idealisierten Bilder werden neben hochwertigen Kunstobjekten in Szene gesetzt und der damaligen Lebensrealität gegenübergestellt. Damit bietet die Ausstellung die Möglichkeit, Bilder in neuer Weise zu verstehen (visual culture) und regt dazu an, gängige Sehgewohnheiten zu hinterfragen.
Frauen erscheinen im Jugendstil in Gestalt märchenhafter Feen und furchteinflößender Furien. Sie sind bezaubernde Göttinnen und kommerzielle Werbefiguren, tragen Hosenanzüge und fahren Auto, rauchen und leben ihre Sexualität aus. Die Darstellung solch selbstbewusster Frauenfiguren in dieser Selbstverständlichkeit und Häufigkeit war neu. Ein Blick in das Bürgerliche Gesetzbuch jener Zeit genügt jedoch, um das Missverhältnis zwischen idealisiertem Entwurf und weiblichen Lebensrealitäten zu erfassen. Daher liegt ein zweiter Schwerpunkt der Ausstellung auf der Einordnung der Werke in den sozialhistorischen Kontext und die Beleuchtung realer Lebensumstände von Frauen, die um 1900 nach gesellschaftlicher und politischer Teilhabe verlangten. Zudem gibt die Ausstellung weniger bekannten Jugendstilkünstlerinnen eine Stimme, präsentiert ihre Lebenswege und ihre Kunst.
Falko Mohrs, Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur: „Das länderübergreifende Zusammenspiel von drei Museen hat diese Ausstellung möglich gemacht hat. Sie setzt sich mit der Rolle der Frau im Jugendstil und in der Gesellschaft auseinander – das eine ist untrennbar mit dem anderen verbunden. Damit nimmt die Ausstellung ein weiterhin aktuelles Thema auf: Frauen haben seit damals viele Fortschritte errungen, aber es gibt immer noch Ungleichheiten und Diskriminierungen. Wir alle müssen sicherstellen, dass Frauen in der Kunstwelt, in der Politik und in der Wirtschaft ihre Stimme erheben können und gehört werden.“
Dr. Heike Pöppelmann, Direktorin des Braunschweigischen Landesmuseums: „Es ist klasse, dass wir mit der deutsch-niederländischen Kooperation erstmals eine größere Ausstellung zum Jugendstil in Braunschweig präsentieren können. Mit den ‚Göttinnen des Jugendstils‘ blicken wir in die Zeit, in der die Massengesellschaft mit ihren sozialen Auswirkungen und bahnbrechenden Konsequenzen für die Stellung der Frau entsteht, deren Folgen bis heute wirksam sind.“
Werke international berühmter Künstler*innen und Weltstars wie Gustav Klimt, Alfons Mucha und Loïe Fuller sind in der Ausstellung zu bestaunen. Eines der bekanntesten Objekte ist Alfons Muchas Büste „La Nature“, die er für die Pariser Weltausstellung 1900 schuf. Außerdem zu sehen sind faszinierende Jugendstil-Werke von Künstler*innen aus der Region: Fotografien der Braunschweigerin Käthe Buchler und Alltagsgegenstände aus dem Sanatorium Dr. Barner in Braunlage (Harz), das heute als Jugendstil-Gesamtkunstwerk gilt. Eine Besonderheit der Braunschweiger Ausstellung ist die zum ersten Mal vollständige und begehbare Präsentation eines Windfangs, der ursprünglich den Eingang des Wolfenbütteler Fotoateliers von Adolf Herbst schmückte. Dank einer Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung konnte der Windfang aufwendig restauriert werden: „Die Restaurierung des seltenen Jugendstil-Windfangs aus einem Fotoatelier in Wolfenbüttel gibt einem Museum auch immer Anlass, seine Objekte neu zu erforschen und zu entdecken. Die Sonderausstellung, mit dem Windfang als Höhepunkt, belegt dies umso mehr“, freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung. Das fast vier Meter hohe Original ist nicht nur das größte Exponat der Ausstellung, sondern vor allem ein besonders aussagekräftiges Jugendstil-Objekt als Teil des Alltags in der entstehenden Massengesellschaft.
Begleitprogramm zur Ausstellung
Bürger*innenpartizipation und Gegenwartsbezug sowie digitale Vermittlungsformate wie Gamification spielten bei der Konzeption der Ausstellung eine bedeutende Rolle. So können Besucher*innen beispielsweise an digitalen und analogen Mitmachstationen quizzen und Frauendarstellungen des Jugendstils bewerten. Konzerte mit Braunschweiger Rapperinnen und anderen Künstler*innen, Fachvorträge und poetische Lesungen zum literarischen Jugendstil im Museumsgarten laden zum Dialog ein. Der Diversity Salon und andere Gesprächsformate bieten die Möglichkeit zum Austausch und der Auseinandersetzung mit aktuellen Debatten: Welche Rolle spielen Konsum, Diversität und Geschlechterrollen noch heute? Was haben sie mit der Lebensrealität der Braunschweiger*innen zu tun?
Die Ausstellung wird gefördert durch:
Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz
Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur
Ernst von Siemens Kunststiftung
Stiftung Niedersachsen
Günter Kalkhof Stiftung