Extrem seltener neuer Flugsaurier-Fund aus Grabungsstelle Geopunkt Jurameer Schandelah vor der Präparation zum Röntgen im Krankenhaus Marienstift Braunschweig
Mit einem Alter von ca. 180 Millionen Jahren war diesem Patienten die Aufmerksamkeit des Chefarztes persönlich sicher: Ein extrem seltener jurassischer Flugsaurier der Gattung Dorygnathus, der im September 2016 am Geopunkt Jurameer Schandelah von Mitarbeitern des Staatlichen Naturhistorischen Museums Braunschweig geborgen werden konnte, wurde Anfang Dezember 2016 zum bislang ältesten Patienten des Krankenhauses Marienstift in Braunschweig. Die Tonsteinplatte mit den Überresten des Fossils wurde von Chefarzt Dr. Rainer Prönneke und seinen Mitarbeitern genauestens unter die Lupe – bzw. das Röntgengerät – genommen. Der ungewöhnliche Termin kam auf Bitten des Palöontologen Dr. Ralf Kosma zustande, der die Grabungen in Schandelah leitet.
„Flugsaurier gehören weltweit zu den seltensten Fossilien, die man bei Grabungen finden kann, da sie sich aufgrund ihrer dünnwandigen und hohlen Knochen nur sehr schlecht erhalten haben. Darüber hinaus war die Wahrscheinlichkeit einfach sehr gering, dass ein Tier der Lüfte nach seinem Tod unversehrt den Meeresboden des Jurameeres erreicht hat.“, erklärt Dr. Kosma. „Bei der Präparation dieser Funde muss man darüber hinaus aufgrund der fragilen kleinen Knochen besondere Vorsicht walten lassen. Daher kamen wir auf die Idee, die Platte röntgen zu lassen, um die Lage der Knochen genau bestimmen zu können.“ Die unorthodoxe Anfrage stieß bei Chefarzt Dr. Prönneke sofort auf Verständnis. „Wenn es um die Zusammenarbeit von regionalen Kräften geht, dann stehen wir gerne zur Verfügung.“
Anfang Dezember war es dann soweit: die Platte mit den Überresten des Dorygnathus sowie ein ebenfalls bei den Grabungen im Spätsommer 2016 entdeckter Schmelzschuppenfisch wurden zum Röntgen ins Marienstift transportiert. Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Winkeln ermöglichten einen detaillierten Blick ins Innere, die Lage der erhaltenen Knochen konnte genau lokalisiert werden. „Wir wissen nun, dass im Sediment noch zwei weitere Knochen verborgen liegen, die wir von außen nicht erkennen konnten. Alle bislang von diesem Exemplar entdeckten Knochen stammen aus dem bei Flugsauriern extrem verlängerten vierten Finger, dem Flugfinger. Dieser entspricht unserem kleinen, also fünften Finger, da der erste Finger (bei uns der Daumen) bei Flugsauriern gänzlich fehlte. Leider wurden Rumpf und Schädel von diesem Exemplar wohl nicht erhalten, dennoch ist es ein bedeutender Nachweis dieser extrem seltenen Tiergruppe für Norddeutschland. Übrigens ist ein einziger Flugfingerknochen bei Dorygnathus so groß wie der ganze Rumpf oder der Schädel, weshalb die Fingerknochen wohl auch am ehesten erhalten geblieben sind.“, erklärt Dr. Kosma. „Durch die Röntgenaufnahmen ist nicht nur sichergestellt, dass bei der Präparation unabsichtlich fragile Knochen beschädigt werden, sie ersparen unseren Präparatoren darüber hinaus mehrere Wochen Arbeitszeit, da sie nun genau wissen, was wo in der Platte zu finden ist. Wir sind Dr. Prönneke und seinem Team wirklich sehr dankbar für die Unterstützung unseres Vorhabens.“
Der Flugsaurier Dorygnathus:
Dorygnathus gehörte zur Gruppe der Langschwanzflugsaurier, die ihre Blütezeit im Unteren Jura hatte. Die enormen Körpergrößen erreichten erst ihre späteren Nachfahren, die Kurzschwanzflugsaurier.
Die dünnen Flughäute von Dorygnathus wurden von nur einem Flugfinger aufgespannt. Dorygnathus hatte eine Flügelspannweite von maximal einem Meter. Er ist bislang nur durch wenige Funde aus Deutschland bekannt. Die spitzen Zähne waren im schnabelartigen Maul nach vorne gerichtet und somit ideal zum Fangen glitschiger Beutetiere wie Fische und Tintenfische geeignet, die es im Jurameer reichlich gab. Somit besetzten die Flugsaurier des Unterjura die ökologische Nische der heutigen Seevögel, denn die ersten Vögel entwickelten sich erst 30 Millionen Jahre später. Heute geht man davon aus, dass Dorygnathus gleichwarm war und ein Fell trug, das den kleinen Körper der Tiere gegen Auskühlung schützte.
Der Geopunkt Jurameer Schandelah
Der Geopunkt Jurameer Schandelah ist ein naturhistorisches Gesamtprojekt für die Region Braunschweig / Harz. Es wurde von der Dr. Scheller Stiftung aus Braunschweig nach mehrjähriger Vorbereitungszeit ins Leben gerufen. Im August 2014 startete die erste Phase der Ausgrabungen nach urzeitlichen Fossilien auf dem Gelände des ehemaligen Schiefersteinbruchs. Die wissenschaftliche Leitung der Freilegungen hat das Staatliche Naturhistorische Museum Braunschweig (SNHM) übernommen. Auf dem 3,5 Hektar großen Waldgelände nordöstlich von Schandelah werden umfassende Untersuchungen in mehreren Grabungsphasen durchgeführt. Sie betreffen die Zeit des Jurameers von vor ca. 180 Mio. Jahren. Ermöglicht wird das Projekt Geopunkt Schandelah durch eine breite Allianz von Unterstützern für die Initiative der Dr. Scheller Stiftung. Zu den Projektpartnern gehören neben dem SNHM u.a. der UNESCO Global Geopark Harz-BraunschweigerLand-Ostfalen, das Niedersächsische Wissenschaftsministerium, die Bingo-Umweltstiftung, die Bürgerstiftung Braunschweig, die Braunschweigische Stiftung sowie private Spender.